livingloud - Manley Core Röhren Channelstrip

Manley Core

tubes rule?

...ja. Um die Antwort vorwegzunehmen. Das amerikanische Selbstbewusstsein und "Reference Channel Strip" sind nicht übertrieben. Ein 19" Kanalzug, der klein und leicht genug ist, um live am FoH den Lead-Vocal immer griffbereit zu haben, egal in welchem Layer man sich grade befindet. Komplett mit EQ, Kompressor, Limiter. Der besser klingt als der eingebaute Preamp-Chip von kleineren Digitalpulten (und ja, dann muss man halt 30m Mikrokabel abrollen). Der zu Hause beim Aufnehmen Spass macht. Fürs Mikrofon. Oder als D.I. Und der auch bei fertigen Aufnahmen noch sinnvoll einsetzbar ist - als EQ, als optischer Kompressor, als Sättigungs-Trafo-Sound-Generator. Klingt ziemlich gut? Das kann er in der Tat: Gut klingen.

Design?

das Bedienteil Design des Manley Core

Fangen wir mal mit dem Unwichtigen an? Ich bin nicht sicher, ob das wirklich Design ist, oder amerikanischer Barock, oder Kitsch. Immerhin ist es konsequent, einigermaßen, und teilt den Core in Funktionsgruppen auf, die man auch völlig ohne Licht wiederfindet - wenn man das Gerät ein paar mal bedient hat. Die Manleys erkennt man auch aus grösserer Entfernung, obwohl die Formensprache bei verschiedenen Geräten nicht stimmig und konsequent ist. Dieses bläuliche Eloxal, ne Hand voll Inbus-Schrauben und schwarze Einsätze sind aber immerhin ein Markenzeichen geworden. Das blaue Leuchten ... Nunja. War mal hip, als blaue LED bezahlbar wurden. Inwischen mag ich augenschonendere Farben lieber. Aber immerhin ist in meinem 19" Stapel nicht nur der Manley blau - vielleicht klingen blau leuchtende Geräte ja besser als andere? ;)
Immerhin sehr überdurchschnittlich und gar nicht barock ist die Verarbeitungsqualität. Die Fräsungen und das Eloxal sind absolut makellos, die Poti-Kappen aus Alu gefräst, und wirklich handschmeichlerisch geformt. Potis und Schalter geben eindeutige sensorische Druck-/Dreh-feedbacks. Den Core auszupacken und anzufassen macht Spass.

von links nach rechts

Die Eingangs Sektion des Manley Core Röhren-preamp

Die Eingangs-Sektion des Core, mit allem was man so braucht: Line-XLR-Umschalter, LowCut, 10dB Extra-Gain (mit jumper auf 20dB änderbar), 48V, Phase-switch.
Das Mikrofonsignal trifft zuerst auf einen Manley Iron Übertrager, der identisch auch in der VOXBOX und dem Force preamp verwendet wird. Den kann man bei Manley auch einzeln kaufen, sollte man in die Verlegenheit kommen... einen eigenen Manley zu bauen? Oder so? Kein Getue um geheime Zutaten - das ist doch direkt sympathisch.
Besondere Beachtung verdient der Input-Regler. Der Regler ist kein "Gain" oder Lautstärkeregler, der den Faktor der Verstärkung beeinflusst, sondern ein passiver "Abschwächer", der nur bei zu lauten Eingangssignalen eingesetzt werden sollte. Die sinnvolle default-Einstellung ist also RocknRoll, 11, Rechtsanschlag, und fügt kein Rauschen in den Signalweg ein. Erst beim Aktivieren der "high gain" Einstellung kann man leises Fisseln hören. Genaugenommen hat der Core also nur 2 Gain-Stufen - low und high. Meiner kam mit 60dB "jumping" zu mir, es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich den internen jumper mal anzusehen. Hinten 60dB Verstärkung und dafür am Eingang den PAD-Regler runterdrehen ist nicht so rauscharm wie die 50dB Schaltung ohne PAD.
Der D.I. input auf der Front bietet sich mit 10MOhm Eingangsimpedanz für E-Bass, Gitarren (auch mit Piezo-Pickup!) und Vergleichbares an, und die Schaltung dahinter soll dem Manley SLAM entsprechen. Klingt wie eine best-of-Manley-Box, oder? Steckt vorn auf der Frontplatte eine 6,3mm Klinke in der Buchse, ist die Line-In-XLR auf der Rückseite deaktiviert. Ist der Core in ein 19" Möbel eingebaut, kann die Rückseite also verkabelt bleiben.

ELOP

der Optische ELOP Kompressor des Manley Core Röhren Channel-strip

Nun sind wir auf der linken "Schwanzflosse" (oder was auch immer das sein soll) angelangt. Das Mikrofonsignal hat bisher nur den Übertrager-Trafo "gesehen" und landet nun im "Electro-Optical Compressor nach Vorbild des legendären LA2A, der schon beim Woodstock-festival am "FoH" stand und bis heute beliebt ist. Der ELOP ist auch als Stereo-Manley-Gerät erhältlich. Im Core ist natürlich nur einer drin, Mono, aber - reicht das nicht für Gesang, Bass, Akustikgitarre, ...? Mir schon.
Tatsächlich ist die Funktionsweise des Core-Kompressors identisch mit dem ELOP+. Zuerst im Signalweg liegt das Optische Element, der eigentliche Kompressor also, danach eine Kombination aus Gain-Stufe und White Kathodenfolger als Aufholverstärker. Die Verstärkung eines symmetrischen Signals aus Manley-Iron-Nickel-Trafo und der White-Kathodenfolger-Schaltung von ECC83/12AX7WA und ECC88/6922 beträgt ca. 40dB in der Low-Gain-Stellung. Für schwächlich-schüchterne Vintage-Bändchenmikrofone ist der Core also nicht die erste Wahl.
Threshold, Attack (5-60mS) und Release (100mS-1500mS) sind regelbar. Die Ratio des Kompressors ist fest, Soft-knee, natürlich, 3:1. Das macht den Kompressor im Core sehr charmant und unauffällig, auch bei heftigen Gain-Reduktionen. Das Signal wird schön fett und dicht, zum hässlichen Pumpen kann man den Core-ELOP mit sinnvollen Einstellungen nicht überreden. Ideal also zum tracken. Und: der Kompressor hat einen bypass-Kippschalter (der übrigens absolut kein Geräusch macht. Sollte selbstverständlich sein, ist es leider nicht).

EQ

der EQ des Manley Core Röhren Channel-strip

Farbe statt Reparatur - das wünscht man sich von Handwerkern bei der Hausrenovierung eher nicht. Aber hier ist es perfekt: Breite Charakter-Einstellungen kann der EQ ganz hervorragend. Sowas wie "Luft, Wärme, Körper, Klarheit" sind eher die passenden Assoziationen als minimalinvasive Reparaturen. Das schmalbandige notch-Filter oder das de-essing geht tatsächlich inzwischen (autsch) digital besser als analog.
Ob der EQ auch bei anderen Manley-Geräten gemopst ist, weiss ich nicht- die alten Langevin-Sachen kenne ich nicht gut genug. Aufgebaut ist die EQ-Sektion ganz klassisch mit Baxandall-Shelving Filtern für Bass (80Hz) und Höhen (12kHz) und einer Semiparametrik für die Mitten, mit umschaltbarem Bereich (100Hz-1k oder 1k-10kHz).

Limiter

der Limiter des Manley Core Röhren Channel-strip

Da bin ich bisschen unsicher, ob der wirklich ein echtes feature ist. Wenn er eingreift, ist das keine dezente Angelegenheit mehr - den hört man dann auch. Angenehmer als digitale Verzerrung? Auf jeden Fall. Aber echt hartes limiten/clippen ist das schon. Als Effekt super, bei ner Aufnahme rettet der eigentlich nichts - wenn die vocals die rote limiter-Lampe zum Leuchten bringen: Neuer take. Live ist es was Anderes, aber auch da sehe ich die kleine rote Lampe nicht so gern. Ist halt einfach dabei, funktioniert. Kann man als harten, pumpigen Effekt-Sound benutzen. Bei sehr kurzer release-Zeit auch als deutlich verzerrenden clipper. Muss man aber nicht. Das ist wohl eher ein Thema für Recording NAchbearbeitung im Studio.
Auf dieser "Schwanzflosse" befindet sich auch ein Ausgangs-Level-Poti, mit dem man +- 10dB Gestaltungsspielraum hat. Zum Beispiel als make-up nach dem Kompressor oder EQ. Der Kanal-Fader quasi, wenn man der Channelstrip-Logik folgt. Im Live-Einsatz super, um schnell in lauten/leisen Passagen den Gesang unter Kontrolle zu halten, während man auf dem Pult eigentlich was Anderes macht. Mich entspannt das beim Mischen - kleine Digitalpulte haben ja oft wirklich krude Mehrfach-Belegungen. Grade mit allen Kanalfadern im Main-EQ Seite 1 für AUX 5 rumzufummeln, um mal kurz ein bisschen 315Hz abzusenken, weil die Akustikgitarre kurz vorm Feedback ist, und trotzdem den Finger auf dem lead-vocal haben zu können - zu analogen Zeiten war das für alle Kanäle selbstverständlich. Mit einem externen Channelstrip ist es das immerhin noch für das wichtigste Signal.

Blaues Auge?

das VU Meter des Manley Core

Ob man ein analoges VU-Meter wirklich blau beleuchten muss... naja. Hatten wir schon. Immerhin ist es sehr gut ablesbar, und zeigt auf Wunsch Gain Reduction, Level am Ausgang oder Level am Direct Out an.

Stärken und Ausstattung

Ganz viele Dinge sieht man nicht auf den ersten Blick. Auch wenn die eingeschränkten Bedienelemente schon fast preset-Charakter haben, zum Beispiel im Vergleich zum grossen Bruder VoxBox, und es deshalb fast unmöglich scheint, im "Normalbetrieb" einen "schlechten Sound" einzustellen, ist der kleine Core wesentlich flexibler als die Frontplatte zeigt. Das liegt nicht zuletzt an der ungewöhnlichen Reihenfolge von ELOP Kompressor im Signalweg, und an der Kombination von "Direct out" zwischen Micpre und EQ, und der insert-Buchse. Der Mikro-input-Transformator mit Nickel-Anteil taugt bei anderen Herstellern zur Legendenbildung und geht beim Core in der Beschreibung zu Unrecht fast unter. Selbstverständlich kann man statt des Line-in den Mikrofon-in nehmen, wenn man aus einem Audio-interface (oder live aus der digitalen Stagebox) durch den Trafo will, um den charakteristischen Sättigungs-Sound zu erzeugen. Achtung: Phantomspeisung aus! Der DI-input klingt wirklich gut. Bass oder Akustikgitarre mit Piezo mögen den hochohmigen Abschluss und den optischen Kompressor sehr. Den Direct-out nach der Röhrenstufe kann man prima verwenden, um direkt in einen Kopfhörer-Amp einzuspeisen, für latenzfreies Monitoring. Oder um in einen 1176 einzuspeisen, für ParallelKompression. Über den Return des Insert-Punktes kann man unsymmetrisch direkt in den EQ, und den Core damit quasi in 2 Geräte aufteilen. Ist vielleicht eher theoretisch, aber... haben ist besser als brauchen :)
Die grösste Stärke des Core ist vielleicht, dass er keine hat. Ganz egal, welches Signal ich ihm angeboten habe - ich habe noch nie ein Ergebnis bekommen, das mich enttäuscht hätte. Von sehr sauberer, nie unangenehm-harscher und für ein Röhrengerät sehr rauscharmer Verstärkung bis zur Trafogesättigten Clipping-Dirt-Box ist alles drin.

Danke Manley

Für die Anleitung mit Service-manual. Zum Beispiel mit der Kalibrier-Anleitung für das VU-Meter. Ich sollte mal, wie man obem am Foto sieht :) Sehr schön auch: Auf der Rückseite ist der Signalweg eingeätzt. Muss also niemand im Keller nach der OVP suchen, die Anleitung doch nicht finden, und immer noch nicht wissen, ob der "direct out" pre oder post EQ ist. Das kenne ich von anderen Herstellern nicht so. Danke auch, liebe Eva-Anne Manley, dass du kein Fensterchen in die Front gesägt hast, durch das man mit LEDs beleuchtete starved-plate Röhren sieht. Und dafür, dass es im Core keine Marketing-Röhren sind, sondern "echte" Verstärkerschaltungen mit 300V Anodenspannung. Tubes rulen halt really, aber sowas von.

Nicht so gut?

Tatsächlich finde ich nur Kleinigkeiten, die mir am Core manchmal noch etwas besser gefallen würden: Ein EQ Bypass zum Schnellen Vergleichen mit/ohne wäre schön. Und der Schalter für die Phantomspeisung könnte eine andere Leucht-Farbe haben als die LowCut/Gain Schalter nebenan. Damit man auch aus 3m Entfernung sieht: Jetzt bitte kein Bändchenmikrofon reinstecken, oder bitte grade nicht aufs Audio-interface patchen. Beides hat aber überhaupt nichts mit den klanglichen Ergebnissen zu tun.

my Manley

Die Frontplatte und Bedienteile des Manley Core

Wie das so ist - der ambitionierte Knöpfchenfreund kauft was, weil irgendwo in den Tiefen von gearslutz ein gutes Review auftaucht, und es Röhren hat, und vielleicht sogar nen nen Eingangsübertrager (DAS 1073-Reizwort), probiert es aus, hört entweder gar keinen Unterschied, oder einen langweiligen, und das Ding verstaubt dann 2 Jahre im Rack, bis es bei ebay landet. So oder so ähnlich kennt es wohl jeder Leser.
Den Core habe ich jetzt schon viele Jahre. Wenn mich jemand fragt, was ich mitnehmen würde, wenn das Haus brennt? "Die Taylor und den Manley" würde ich vermutlich antworten. Der geht ohne mich nirgendwohin - so viel Freude hat er mir in den letzten Jahren in den verschiedensten Situationen gemacht.

Du willst auch einen Manley Core? Bitte: kauf mich!