Analog mischen
Ein analoges Pult für zu Hause?
ITB oder OTB = Aufnehmen und Mischen im Rechner oder mit Hardware? Diese Diskussion ist so alt wie die erste DAW-Software. Für mich geht es dabei gar nicht um Klangunterschiede. Gute Plugins können inzwischen analoge Klassiker für meine Anforderungen brauchbar genug nachbilden. Für mich geht es um: den Spass. Das Gefühl, an einem Knopf zu drehen, statt auf nem touchpad rumzudrücken. Die Atmosphäre, die 1-3 Quadratmeter analoger Bedienoberfläche im Vergleich zu einem 13" MacBook verbreiten. Wenn etwas mehr Spass macht, wird das Ergebnis besser. Davon bin ich überzeugt. Und ja, verdammt. Ich bin ein kleiner Junge. Ich mag Knöpfe, Zeiger und bunte Lampen. Magisch-esoterische Einflüsse auf den Klang verspreche ich mir davon nicht. Sehr wohl aber latenz-freies Monitoring.
Ich habe mich ziemlich ausführlich mit Bedienoberflächen rumgeärgert, die Mischpulte für das Arbeiten am Rechner simulieren. AVID Artist-Serie gekauft und frustriert in die Ecke geworfen, sogar ein S6 hab ich nicht mehr ausgeschlossen, Mackie Hui-Serie getestet, SSL Nucleus war eine absurd teure, aber ernste Überlegung, ICON controller (die tatsächlich ganz gut funktionieren),... Aber am Ende blieb die Frage: Warum soll ich denn für 1000 - 4000 EUR eine Fernbedienung haben, die mir ein Mischpult vorgaukelt, Ärger mit Treibern macht, alte Anschlüsse wie firewire braucht, wenn ich dann zusätzlich noch externe 19" Mikrofonvorverstärker kaufen muss, und vielleicht EQs, ständig Nerv mit Latenzen beim Inserten von analogem outboard habe, und... für deutlich weniger Kohle schon lange ein echtes Pult haben kann?
Die ganze Wahrheit ist natürlich: um ein analoges Pult sinnvoll nutzen zu können, und Logic zu einer Mehrspur-Bandmaschine zu degradieren, muss man für jeden Pultkanal auch einen input und output an den Aufnahmerechner basteln. Es werden also viele Kanäle AD/DA Wandlung benötigt. Für mich heisst das: Zu meiner MOTU 1248 brauche ich sowas wie eine MOTU 16A. Damit wären dann gleichzeitig ca. 30 Eingangs-und Ausgangs-Kanäle verfügbar. An dieser Stelle kann man natürlich irgendeinen alten Kram gebraucht kaufen. Aber Signale mit schlechten Wandlern aus dem Rechner zurück in die analoge Welt zu schicken, um dann mit schlechten Wandlern die Pult-Summe wieder auzunehmen ist keine gute Idee. Das Budget für anständige bis gute AD/DA-Wandlung muss also unbedingt eingeplant werden.
Sehr klar sein muss man sich auch darüber, dass 20 Jahre alte Analogpulte ziemliche Geldfresser werden können. Einen einzelnen Kanalzug mit neuen Potis, Schaltern und Fader zu bestücken, und bei der Gelegenheit auch noch ein paar vertrocknete Elkos zu tauschen, kostet bei ner einfachen Konsole irgendwas zwischen 100 und 200 EUR Material. Bei 16 Kanälen, ein paar Gruppen und Master ist das also eine erhebliche Summe und ein unfassbarer Arbeitsaufwand.
Die Strategien können sein:
-ignorieren und hoffen
-austauschen, wenns zu spät ist (nur das, was grade mal wieder nicht funktioniert)
-alles auf einmal neu
Das "nur bei Bedarf tauschen" erscheint einigermassen sinnvoll, bedeutet aber auch, dass man sich darauf einrichten kann, einmal im Monat irgendeinen Kanalzug rauszupulen, wieder für 20 EUR Teile zu bestellen, und nen Abend mit dem Lötkolben zu verbringen. Das Ziel sollte also sein, ein möglichst gut erhaltenes Pult zu finden, in dem zumindest Fader, Schalter und Potis noch einige Jahre ihren Job machen. Bei Elektrolytkondensatoren kann man nach 20 Jahren eigentlich von Austausch ausgehen. Die sind nicht teuer - aber viel Arbeit ist es trotzdem. Wenn man sich trotzdem für ein Pult entscheidet, was mit Vernunft offenbar ziemlich wenig zu tun hat, gehts an die Auswahl:
Schwere Wahl?
Naja. Gar nicht so. Der Anforderungskatalog an eine analoge Konsole "für zu Hause" ist schnell erstellt. Meine persönliche Wunschliste war ungefähr:
Netzteil ohne Lüfter
Direct-out pro Kanal
regelbarer LowCut pro Kanal
Subruppen mit inserts
mindestens 6 Aux-Wege
Meterbridge (fürs Ambiente, neh?)
echter Line-In, damit vom Aufnehmen zum Mischen nicht umverkabelt werden muss (oder inline-Funktionalität)
Grösse zwischen 12+4 bis 20+4 Kanälen
4-8 mute-Gruppen
Gewicht so begrenzt, dass ich sie alleine bewegen kann
"irgendwas geiles" (also kein Mackie mit USB-Anschluss oder aktuelle LowBudget-Kisten)
Live-Pult oder Studio-Pult?
So gross sind die Unterschiede gar nicht. Studiokonsolen haben eine andere Herangehensweise ans Routing, und sind da deutlich flexibler. Und die Master-Sektion bietet in der Regel mehrere Ausspielwege für verschiedene Abhören. Das war es dann aber auch schon, wenn man in der Preisklasse bleibt, und die richtig dicken Studio-Pulte ausklammert (die in gutem Zustand unbezahlbar sind, in schlechtem genauso (Ersatzteile und Arbeitszeit) und mehr Stron verbrauchen als aus ner Wandsteckdose kommt).
Grundsätzlich kann man sagen, dass Live-Konsolen oft deutlich kompakter gebaut sind. Das ist beim Bedienen nicht ganz so schön und komfortabel, und sieht natürlich weniger fett aus, spart aber Platz und Gewicht. Für die Verwendung bei Wind und Wetter und täglichen Transport sind die Dinger stabiler gebaut, was auch kein Nachteil ist.
Statt einer Inline-Funktion kann man mit Direct-out und echtem Line-in ganz gut zurechtkommen. Beim Aufnehmen geht der Direct-out in den AD-Wandler, beim Mischen/Playback geht der DA-out in den Line-in. So können alle Mikrofone und die DAW gleichzeitig verkabelt bleiben.
Königsklasse
Ziemlich schnell landet man bei den grossen, alten Dickschiffen wie Midas XL200, Soundcraft Series5 oder Europa/Vienna, Crest Century, Yamaha PM3500 und Ähnlichem. Das Fatale: die Dinger sind alle bezahlbar (werden nahezu verschenkt) und dadurch sehr verlockend. Sobald ich ein Haus gekauft habe, und genug Platz, wird auch ein Live-Pult in der Grösse im Studio installiert. Bis dahin bringen die Viecher allerdings nur Ärger. 4HE-40kg-Netzteile mit obszönem Stromverbrauch lasse ich mir noch gefallen, dann muss ich zum Aufnehmen halt meinen Küchenherd abklemmen. Die Lüftergeräusche sind ohne separaten Maschinenraum aber nicht zu ertragen. Und - nicht ganz unwesentlich: Eine 250kg schwere und 2,50m breite Konsole im Wohnzimmer ist einfach unhandlich. Ich kann weder einen Gabelstapler im Schlafzimmer parken, noch jedes mal 5 stagehands buchen, wenn ich in der Musikecke staubsaugen will. Es muss also "eine Nummer kleiner" sein.
Gut, geil und grade noch sinnvoll?
Wenn es also nicht die ganz grossen Touring-Tische sein sollen, und nicht gleich die kompakten und teuren Studio-Klassiker von Studer und Co, kommt man schnell auf die Brot und Butter/VW-Golf-Klasse-Konsolen wie Allen-Heath GL4000, Soundcraft Venue oder K3, Crest X-Serie, Yamaha PM2000, kleine DDA, ... also Zeug, das Ende der 90er immerhin in der Grössenordnung von 15.000-30.000 DM den Besitzer gewechselt hat, und inzwischen für unter 1000EUR gebraucht gut zu bekommen ist. Die sind natürlich nur halb so sexy wie "die grossen". Aber besonders auf ner GL4000 habe ich viele Jahre lang schöne jobs gemacht, und tatsächlich war die lange in der engeren Auswahl, weil die Ausstattung einfach perfekt passt - und AUX-Master auf fadern saupraktisch sind. Leider ist sie weder voll modular (8er Gruppen), noch besonders hochwertig verarbeitet. Ausserdem ist sie nur selten in kleinen Rahmen zu finden, und 48 Kanäle brauche ich nun wirklich nicht. Vorm Zersägen hab ich Skrupel (und nur mässig Lust auf den Aufwand).
Während meiner Suche haben sich ein paar der Mittelklasse-Tische als begehrenswert herauskristallisiert, für die man auch ein breites Angebot von einzelnen Kanalzügen und PSUs auf dem Gebrauchtmarkt findet. Die Crest X-VCA zum Beispiel, in die ich mich echt verknallt hatte, taucht fast nie auf - und Einzelteile schon gar nicht. VCAs wären sensationell gewesen, die eingebauten Kompressoren in den Subgruppen auch nicht übel, das Ding ist recht kompakt und leicht, ... aber: Gibts einfach nicht.
Was es nahezu inflationär an jeder Ecke gibt, sind Soundcraft Pulte. Von ganz alten Viechern wie 400B, 8000 und Ähnlichem über die viel zu grossen und schweren Viennas (für 1500 EUR kann man die sofort in gutem Zustand bekommen - das sind knapp 5 EUR pro kg Material, lohnt sich ja schon fast damit zum Schrott zu fahren und das Metall zu verkaufen) bis zu der weit verbreiteten Delta/Venue Serie. Die Delta haben einen sehr guten Ruf (guck mal bei gearslutz), sind sehr einfach aufgebaut (kurze Signalwege, Standard-Bauteile), preisgünstig und robust. Die Venue ist mechanisch und zum Teil auch elektrisch kompatibel und besser ausgestattet, und in meiner Live-Zeit habe ich kleinere jobs gern auf Venue gemischt. Soundcraft-Konsolen haben tatsächlich so etwas wie einen Sound. Und das ist ja auch gut so - sonst könnte man ja beim Mischen "im Rechner" bleiben. Die Delta/Venue-Reihe wurde lange und in vielen Varianten gebaut, und bis auf den regelbaren lowcut erfüllen die alle meine Wünsche. So war es eher eine Frage der Zeit, bis mir was Passendes über den Weg läuft... Zum Beispiel ein 24er Rahmen Venue II mit der allerdings sehr seltenen und schönen Meterbridge (Kombination LED/VU). Leider ohne Theater-Kanäle. Aber... das ist eine andere Geschichte. Und diese andere Geschichte ist auch mit Bildern :)
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